Die Regiments-Chiffre.

Humoreske von Hans Riebach
in: „Märkischer Sprecher” - Lachpillen vom 29.4.1896


„Wilhelm!” rief die Gnädigste.

„Hier — zu Befehl.”

„Wilhelm, ist das Regimentsbureau schon geöffnet?”

„Noch nicht, Frau Oberst, die Ordonnanzen machen erst rein.”

„Schön. Sobald der Regimentsschreiber da ist, sagen Sie es mir.”

„Zu Befehl.”

*       *       *

Die Frau Oberst gedachte ihrem Gatten, der in einigen Tagen seinen Geburtstag feierte, außer anderen Ueberraschungen eine besondere Freude durch Spendung einer köstlichen Brottorte zu bereiten, welche mit der Chiffre des Regiments, den kunstvoll verschlungenen Initialen des Namens und der Nummer desselben, geziert sein sollte. Dazu brauchte sie die Hilfe des Regimentsschreibers, welcher ihr die Chiffre besorgen sollte.

Inzwischen überlegte die Gnädigste, auf welche Weise es möglich wäre, die kostbare Torte vor der Vernichtung durch die jungen Leutnants zu retten. Es bestand nämlich die schöne Sitte, dem Kommandeur in corpore zu seinem Geburtstage Glück zu wünschen, und das gesammte Offizierkorps blieb alsdann zu einem Frühstück beisammen. Der Appetit der jüngeren Herren bei solchen Gelegenheiten war der Frau Oberst sehr wohl bekannt, und sie fürchtete nicht mit Unrecht für die Lieblingstorte des Herrn Gemahls.

„Ich muß sie vor diesen Kompot-Hyänen und Kuchenhamstern unbedingt retten! Ha, da kommt mir ein vortrefflicher Gedanke — Weymöller besitzt eine Atrappentorte, die werde ich leihen, den Zuckerguß erneuern, und darauf aus eingemachten Früchten die Regimentschiffre herstellen. Die kommt ins jüngere Zimmer zur Ansicht.”

Damit beendete die Kommandeuse befriedigt ihr Selbstgespräch.

Eine halbe Stunde später meldete Wilhelm die Ankunft des Regimentsschreibers.

„Wilhelm,” begann die Gnädigste,„achten Sie wohl auf meine Worte! Begeben Sie sich zum Regimentsschreiber und bestellen Sie im Namen des Herrn Obersten, daß dieser die Regimentschiffre zu haben wünsche. Bis morgen Nachmittag 3 Uhr aber muß die Chiffre hier sein — verstanden, Wilhelm?!”

„Zu Befehl, Frau Oberst.”

Der Bursche begab sich darauf zum Bureau und bestellte dem Regimentsschreiber, Sergeant Endemann, wörtlich:„Der Herr Oberst lassen die Regimentschiffre zu übermorgen Nachmittag 3 Uhr befehlen.”

Dann machte er kehrt und stampfte ab.

Endemann wiederholte noch einmal leise, nachdenklichen Blickes, den Befehl und schaute ungewiß durchs Fenster. „Hm, hm,” murmelte er, „was will er denn damit — nachmittags 3 Uhr — sonderbare Schrulle — na, mir kanns egal sein!”

Und er diktierte einen Befehl, die Federn der Schreiber flogen übers Papier, und nach einer Viertelstunde wanderten die Ordonnanzen damit zu den Bataillonen.

*       *       *

Der berühmte Weymöller, unentbehrlicher Lohndiener und Ratgeber aller Hausfrauen und Damen der Gesellschaft, trat zwei Tage später mit drei tiefen Verbeugungen in das Gemach der Frau Oberst. „Da bin ich, stehe ganz zu Diensten, allergnädigste Frau — können gleich an die Arbeit gehen.”

„Charmant, charmant, lieber Weymöller, ein Glück, daß Sie da sind — denken Sie sich, der Regimentsschreiber ließ mich mit der Regimentschiffre im Stich...”

„O. allergnädigste Frau Oberst, das thut nichts,” gestattete sich der Ratgeber überlegen zu bemerken,„ich verstehe mich auf die Namenszüge aller Regimenter unserer glorreichen Armee...”

„Das ist ja wahre Hilfe in der Not! Also, hier sind Sternchen, Früchte, Marzipan — nun aus Werk ... Ei, ei, Sie sind ein Künstler... ah, wie schön es sich abhebt... so, nun noch dies Stück... fertig! Besten Dank! Doch jetzt zur Tischordnung — braucht wohl nicht verändert zu werden?”

..... Oh, oh, oh, das geht bei Leibe nicht, allergnädigste Frau Oberst — hier führt ja der Hauptmann von Frascati das Fräulein von Windenblüte — das geht nicht! Die junge Dame hat mich ausdrücklich ersucht, sie niemals mit dem Hauptmann zusammen zu bringen.”

Der Frau Oberst fiel ein, daß der Hauptmann wohl berühmt war als tüchtiger Esser, aber schlechter Gesellschafter. Sie plazierte infolgedessen den Herrn von Frascati mit Hilfe Weymöllers im „jüngeren Zimmer” — dort mochte er die Rolle eines Fähnrichsvaters und Vierundzwanzigstündlers glanzvoll durchführen!

Noch einige kleine Abänderungen und die Tischordnung erschien in höchster Vervollkommnung.

Nun begann das Tafeldecken und die Frau Oberst gab in Bezug auf die Weinsorten einige schätzenswerte Winke. Nach dem Grundsatz: „Sauer macht lustig”, wanderte edler Gurgelschinder, roter und weißer, ins „jüngere Zimmer”, dem Mittelalter gönnte man etwas bessere Schattenseite, im „älteren Zimmer” prangten jedoch Lafitte und herrliche Schloßabzüge vom Rhein. Französisches Kompot lud verführerisch ein, Konfekte, Chokoladen und andere wundervolle Sachen winkten verlockend; in den anderen Räumen jedoch erhielten fördernde Pflaumen und saure Gurken die Bestimmung, die jungen Leutants vor Verwöhnung zu bewahren.

Weymöller warf nun noch einen letzten Feldherrnblick auf das Schlachtfeld, richtet die Löffel aus, legte Messer und Gabel peinlich genau auf Vordermann mit denen des gegenüberliegenden Gedeckes und wies dem Lorbeerzweig-Bouquet mit den schwarz-weißen Schleifen, welches dem Geburtstagskinde mit Beginn des ersten Stuhlrückens überreicht werden sollte, einen geeigneten Platz an.

Noch wenige Weisungen an die braven Musketiere und Füsiliere, welche als Silberdiener fungieren sollten, und Weymöller, der berühmte und vielbegehrte, trat vom Schauplatz seines Ruhmes ab, um in einem hinteren Zimmer seinen sterblichen Leichnam durch einen köstlichen Imbiß für den kommenden Kampf zu stärken.— — — —

Vom Turm der Jakobikirche verkündeten die Glocken in klaren Tönen die Mittagsstunde. Pünktlich füllten sich die Festräume bei der Gnädigsten. Die Damen rauschten herein, die Herren folgten im Festschritt nach, machten ihre Reverenzen und empfingen mit Genugthuung die Versicherung, wie liebenswürdig es gewesen sei, zu erscheinen.

Man verteilte sich in den Sälen. Der Zug der jungen Offiziere ging nach hinten, und auch Hauptmann von Frascati schwenkte dorthin auf höheren Befehl ab.

„Lieber Herr Hauptmann,” hatte ihm die Frau Oberst ins Ohr geflüstert, „Sie haben wohl die Güte, sich heute der jüngeren Herren anzunehmen!rdquo; Herr von Frascali sah diesen Wunsch selbstverständlich als Befehl an und führte ihn mit Wonne und Umsicht aus.

Bald entwickelte sich unter seiner Leitung ein reges Bild! Keiner Ordonnanz gelang es, das mit Kaviarbrötchen und anderen für das „ältere Zimmer” bestimmten leckeren Sachen ausgestattete Tablet nach vorn zu bringen. Sämmtlich erlitten sie Schiffbruch, denn Frascati, der für sein Leben gern Kaviar „murmelte”, füllte seinen über den Arm gehängten Helm mit den netten Brötchen, und diesem hohen Beispiel folgten freudig alle jungen Leutnants.

Die Gastgeberin merkte auch bald das Entgleisen ihrer Kaviarbrötchen, und eilends schritt sie zum Unterhaus — siehe da, vor ihren Augen löste sich das Rätsel!

Eine Ordonnanz nämlich weigerte sich energisch, eine Platte mit Appetitbrötchen den lustigen Offizieren abermals preiszugeben und hielt sie hoch übers Haupt. Hauptmann von Frascati jedoch trat rasch als der Kameraden Retter auf — er kitzelte den biederen Füselier und der Erfolg lohnte das Mühen, denn quietschend und feixend ließ der Widerspenstige die Platte hinab und im Umsehen verschwand die Füllung. „Oh, meine Herren, freut mich außerordentlich, daß es Ihnen schmeckt!” ertönte da schrill und zornbebend die bekannte Stimme der Mutter des Regiments. „Bitte, Herr Hauptmann, darf ich Ihnen vielleicht noch einen kleinen Handkoffer zur Verfügung stellen?!”

Totenstille — allgemeines Schlucken, Würgen!

Der Gewaltige ging im Göttertritt ab und setzte hinter des Hauptmanns Namen im Stillen zwei besonders dicke Kreuze. — — —

„Es ist serviert,” flüsterte Weymöller der Herrin des Hauses zu.

Sie nahm mit reizenden Lächeln den dargebotenen Arm des Generals und diesem hohen Beispiel folgten die andern in strengster Rangordnung. Kaum rückte das erste Stuhlbein, so ergriff der Brigadekommandeur das Lorbeersträußchen und befestigte es auf der Heldenbrust des Geburtstagskindes — Dankesstammeln u. s. w.!

Den Pastetchen und dem alten Portwein erwies man alle Ehre, die Unterhaltung kam allmählich in Gang. Im „jüngeren Zimmer” aber herrschte unheimliches Schweigen! — Da nahte das caput coense, der Rehbraten, und der General erhob sich. Lautlose Stille umfloß die Festgenossen. Mit kurzen, aber desto wärmeren Worten brachte der Brigadier das Wohl des Hausherrn und Geburtstagskindes aus. Nach dem dreifachen Hurra umdrängte alles mit Kling-klang den Gefeierten.

Nun sollie das Eis nahen und die Wirtin blickte mit Spannung zur Thür. Doch ihr wurde an diesem Tage keine ungetrübte Freude zu teil! Anstatt die ersehnte Fürst Pückler-Bombe zu überreichen, bot der Diener die Kommis-Vanille dem General dar. Der Gewaltige schnipselte aus Höflichkeit an dem gelben Vanillegletscher herum und legte sich eine winzig kleine Eisscholle vor — die Frau Oberst aber erblich! Wo blieb der Fürst Pückler, wo befand sich à la Nesselrode?! Ja, ja, mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten! Der Fürst Pückler war am Kap Frascati gescheitert und Nesselrode wurde im Hauptmannszimmer zum Wrack. Die Kommis-Vanille jedoch wurde dem höheren Zimmer geboten!

Weymöller merkte rasch die Verstimmung des Generals und setzte flugs eine Dürkheimer Feuerberg vor ihn hin.

„Ah,” ließ sich der General launigen Tones vernehmen, und sein Auge richtete sich auf die Atrappen-Brottorte, die das Unglück auch in das „ältere” Zimmer verschlagen, „das ist entzückend, meine Gnädigste. Haben den Namenszug gerade süß arrangiert — übrigens paßt Brottorte vorzüglich zum Dürkheimer, nicht wahr, mein lieber Oberst?”

„Einzige Torte, die überhaupt würdig ist, zu solchem Wein verspeist zu werden — liebe Frau, habe die Güte, sie zu zerlegen.”

Die liebe Frau erblaßte. — Ein Königreich für die echte Brottorte!

Der General liebäugelte noch immer mit der Torte, und der Oberst betrachtete erstaunt seine teure Gattin. In diesem kritischen Augenblick trat Ruhe an der Tafel ein, denn man vernahm den dröhnenden Gleichschritt einer größeren Truppenabteilung, und darauf das Kommando: „Bataillon — halt — Froni! ... Richt Euch!”

Der fragende Blick des Brigadekommandeurs traf den Oberst. Dieser sprang auf, eilte zur Thür und prallte dort mit dem ältesten Hauptmann zusammen, welcher beim Anmarsch der Soldaten eiligst das Zimmer verlassen hatte und nun wieder eintrat:„Melde ganz gehorsamst 186 Mann gelernte Regiments=Schiffer zur Stelle.”

Totenstille ringsum.— Der Herr Regimentskommandeur fand endlich Worte: „Wer hat die Schiffer des Regiments hierher beordert?”

„Der Herr Oberst selbst während meiner Beurlaubung!” meldete der Adjutant. — Da umfing die Regimentskommandeuse eine wohlthätige Ohnmacht! Kreideweiß lag sie in den Armen des Generals, und es entstand der bei solchen Anlässen unvermeidliche Tumult.

Endlich erwachte die Regimentsmutter zu neuem Dasein, stand Rede und Antwort, und die lautere Wahrheit rang sich allmählich aus konfusen Berichten zum Licht empor. Den schnell herbeigeholten Wilhelm unterwarf man einem peinlichen Verhör. Es erschien geradezu unerhört, daß ein königlich preußischer Musketier nicht den Unterschied von Chiffre und Schiffer kannte und „übermorgen” statt„morgen” bestellt hatte! Wehe Dir, Wilhelm! — Der General trat jedoch mit unvergleichlicher Milde für den armen Burschen ein und empfahl ihn der Gnade des allzeit gütigen Kommandeurs. Hierauf führte der hohe Vorgesetzte respektvoll die Hand der Frau Oberst an seine Lippen und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Alles klirrte ab! Gott sei Dank! So blieb wenigstens die Atrappentorte unentdeckt. Hauptmann von Frascati aber wanderte Arm in Arm mit Premierleutnant von Schwamm nach „Stadt Prag”. „Herrschaften," rief er den Genossen am Stammtisch zu, „heut beim Geburtstagszauber jotvolle Geschichte passiert ....”

Schallendes Gelächter belohnte den humorvollen Erzähler und die ganze Garnison und Bürgerschaft sprach noch wochenlang von der „Chiffre des Regiments”.

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